TeleZüri Chef Markus Gilli über Zürich-West und seinen Job
DER TELEZÜRI CHEF IM INTERVIEW
Markus Gilli, die Studios sind seit 1994 auf dem Steinfelsareal. Wie war der Wandel hier auf dem Areal und im Industriequartier?
Also da kann ich Ihnen gleich sagen, das war wie eine Explosion. Im Herbst 1994 sind wir hierher gezogen. Seit 1979 ist Roger Schawinski mit dem Radiostudio dem Kreis 5 immer treu geblieben. Für das Fernsehen haben wir dann einen neuen Standort gesucht, aber auch hier im Kreis 5. Wir haben uns zunächst Räumlichkeiten am Sihlquai angeschaut, aber die waren nicht geeignet. Dann hat Roger Schawinski das Steinfelsareal gesehen und sich für die Räumlichkeiten dort interessiert. Alle haben damals gesagt „Ihr seid total wahnsinnig! Das isch d’Bronx vo Züri! Wie soll ein prominenter Talk-Gast hierher kommen?“ Man muss sich das mal vorstellen, gleich da drüben ist die alte Waschmittel Fabrik Steinfels noch gestanden. Da unten im Hof, wo jetzt die Wohnhäuser sind, war alles überwildert. Brombeerstauden, mitten drin der legendäre Glacé-Garten und nebenan hatte der Balu seine Werkstatt für Vespas. Man war hier wirklich am Ende der City.
Hat man damals geahnt, dass sich das Industriequartier so rasant entwickeln würde?
Nein, man hätte niemals gedacht, dass das mal so wird wie es heute ist. Wenn jemand mir damals gesagt hätte, das wird das prosperierende Wahnsinnszentrum von Zürich, hätte ich gedacht „der ist jetzt aber total übergeschnappt!“.
Wie haben Sie den Wandel des Quartiers erlebt?
Nach Bezug der Räumlichkeiten ging es noch etwa zwei Jahre, dann merkten wir den Wandel langsam. Der Glacé-Garten kam weg, die Brombeerstauden verschwanden und man begann Wohnungen zu bauen. Das war zu einer Zeit, als die Wohnungsnot in Zürich langsam prekärer wurde. Die Verwaltung der damals neu gebauten Wohnungen musste kein einziges Inserat schalten. Noch vor Baubeginn waren alle Wohnungen vermietet.
Das ist der erste Expansionsschritt gewesen. Die haben sehr bald geschnallt, dass es trendig ist, hier zu wohnen. Oben hat man Lofts ausgebaut. Es sind immer mehr urbane Leute mit Geld hierher gezogen. Aber sonst war hier noch nichts.
Haben sich die Mietzinse für Ihre Räumlichkeiten erhöht als das Quartier immer trendiger wurde?
Nein, wir hatten Glück, wir haben einen kulanten Vermieter. Es wurde gar nicht so wahnsinnig viel teurer. Ich habe auch immer das Gefühl, die danken TeleZüri ein bisschen. Wir waren die ersten, die hier herunter gekommen sind. Ohne kugelsichere Weste (lacht)*. Ja, ich denke, wir konnten damals ein bisschen den Trend angeben. Ich meine, heute ist es wahnsinnig hier, überall in der Umgebung diese Hochhäuser die gebaut werden.
(*Gilli spielt damit auf die Langstrassen-Serie des Schweizer Fernsehens an, in welcher sich Moderation Eva Wannenmacher nicht entblödete, mit kugelsicherer Weste aufzutreten.)
Wie finden Sie die Entwicklung hier im Industriequartier?
Hoch spannend, super. Ich bin selber ein urbaner Mensch. Ich liebe Städte. Es ist prosperierend, wenn man hier am Abend nach Hause geht oder morgens herkommt.
Wohnen Sie denn auch hier im Kreis 5?
Nein, im Kreis 8, dort passiert eher das Gegenteil. Es hat immer mehr Rechtsanwälte. Was man aber auch sehen muss, ist, dass die Mietzinse hier im Industrieareal enorm sind. Diese steigen ständig. Natürlich ist das auch im Kreis 8 so. Was aber hier im Vergleich zum Seefeld nicht gerade eine positive Entwicklung ist, sind die Wochenenden. Da hat man hier einfach Halligalli. Ich könnte mir von daher nicht vorstellen, hier zu wohnen „wil den pennsch eifach bis am Sunntig nöd.“ Dazu kommt, dass ich sehr wahrscheinlich auch einfach zu alt bin. Und dann der Abfall und Dreck. Durch das, dass sich hier so viele Clubs angesiedelt haben, hören Sie von Freitagabend bis Sonntagmorgen auch des öfteren Polizei-Sirenen.
Aber Sie haben nicht das Gefühl, dass die Clubs alle verschwinden und das Gebiet so auch zum Anwaltsgebiet werden wird wie der Kreis 8?
Das würde ich nicht ausschliessen. Bis jetzt hat es noch gar keinen Rechtsanwalt hier. Ich habe zumindest noch keinen gesehen. Banken und sonstiges Gewerbe sind hier. Aber die Gefahr besteht natürlich, dass es immer chicer wird. Die erste Adresse ist dann nicht mehr die Dufourstrasse 35, sondern vielleicht Bahnhof Hardbrücke. Was wir festgestellt haben: Alternative Sachen sind bereits nicht mehr hier.
Wie würden Sie Zürich West mit Stichworten beschreiben?
Aufregend, spannend, leicht hektisch. Manchmal. Was noch nicht gelöst ist, ist das ganze Verkehrsproblem. Wir sind ja enorm darauf angewiesen, dass wir nicht im Stau stehen. Und es hat zu wenig Parkplätze. Freitagabends haben Sie hier nur Suchverkehr von Aargauern, die einen Parkplatz suchen. Aber sonst finde ich es architektonisch hochspannend hier. Zum Beispiel der Schiffbau, wo ich gerade gestern ein Geschäftsessen hatte. Die anderen Gäste waren alle begeistert: Diese Kombination von alt und neu, das moderne Restaurant, der Kronleuchter in den alten Fabrikhallen.
Das Hektische passt ja auch ein bisschen zu Ihrem Beruf?
Ja sicher, mir würde es in der Industriezone von Regensdorf ziemlich langweilig werden (lacht). Und wir haben für Tele Züri hier natürlich einen idealen Ausgangspunkt. Wir haben das Tram, den direkten Autobahnanschluss, den Bahnhof Hardbrücke. Ich könnte mir keinen besseren Ort vorstellen.
Wie ist die Resonanz Ihrer Gäste?
Alle Reaktionen sind sehr positiv. Alle finden es sehr spannend. Viele kommen mit der ÖV. Unsere Gäste haben hier immer ein bisschen die Alternative zum hässlichen Standort der SRG. Die sind ja dort auf der Wiese bei der Kehrichtverbrennungsanlage, okay, die haben wir hier zwar auch. Es ist hier zentraler, es ist urban. Natürlich könnten wir Geld sparen und irgendwo in Dürnten auf einer Wiese unser Fernsehen machen, aber das wäre nicht das Gleiche. Hier erleben wir Geschichten, wir erleben Menschen. Das ist für Journalisten unglaublich wichtig.
Hätten Sie sich als Kind vorstellen können, dass Sie einmal beim Fernsehen landen?
Nein, meine grosse Liebe war das Radio. Von Kindsbeinen an war das für mich das Grösste. Als ich fünf Jahre alt, haben mir meine Eltern im Franz Carl Weber ein Mikrofon und einen Lautsprecher gekauft. Das haben sie dann bald schwer bereut (lacht), weil ich als kleiner „Chnopf“ dann die ganze Zeit Radiosendungen gemacht habe. Ich war zwanzig Jahre beim Radio und kam dann eher zufällig zum Fernsehen.
Was fasziniert Sie jetzt so am Fernsehen?
Der grosse Unterschied ist, Radio ist viel intimer. Wenn Sie im Studio sitzen, eine Sendung moderieren, eine Diskussion leiten, dann hat das etwas Intimes. Früher hat es nur eine Reaktion gegeben, wenn ich im Jelmoli an der Kasse meine Kreditkarte hinhielt. Dann hiess es von der Kassiererin „dieser Name kommt mir bekannt vor, sind Sie nicht beim Radio?“. Die frühere Radiomoderatorin, Elisabeth Schnell, war dreissig Jahre beim Radio und sie war eine Ikone dort. Sie hat einmal gesagt, dass sie nach einem zwanzig Sekunden Fernsehauftritt beim Schweizer Fernsehen hundertmal mehr Reaktionen erhielt als für ihre dreissig Jahre Radioarbeit. Fernsehen ist einfach frontal, das Bild hat eine enorme Wirkung.
Sie werden also immer angesprochen auf der Strasse?
Ja, das ist klar.
Ist das manchmal auch mühsam?
Die Leute sind angenehm, sie sind zu 99.9 Prozent sehr nett, höflich und rücken einem auch nicht so auf die Pelle.
Aber man muss schon auch ein Mensch sein, der gerne im Mittelpunkt steht, wenn man Fernsehen macht?
Ich stehe nicht gerne im Mittelpunkt, ich bin eher ein scheuer Mensch. Das ist für mich einfach mein Beruf. Was ich liebe, sind Menschen, Kontakte, Kommunikation. Ich würde wie eine Zimmerpflanze ohne Wasser eingehen, wenn ich in einem Acht-bis-funf-Uhr Bürojob arbeiten und Akten ablegen müsste. Hier läuft immer etwas, das brauche ich, das ist mein Humus.
Was war Ihr grösster Patzer? Flopp?
Das war die Sendung mit dem Lachkönig aus Deutschland. Der war so eine Katastrophe im Talk, weil er sich als etwas angepriesen hatte, was er nicht war. Nämlich als Coach von Grossbanken und Manager-Trainer. Er kam hier ins Studio, nahm eine Petflasche aus seinem Koffer und hat sich dann eine Pappnase aufgesetzt. Es war dann fünf über halb sieben und ich konnte bereits nichts mehr fragen. Die Sendung dauerte aber noch bis um fünf nach sieben. Ich habe ihn nicht gemocht und er mich nicht. Wir haben uns eigentlich nur „aghässled“ . Dann dachte ich, gut, schalten wir mal die Zuschauerinnen und Zuschauer zu. Aber kein Schwein rief an. Dann dachte ich, so jetzt muss ich in die Offensive und ihn einfach mal hinterfragen, was er eigentlich für eine Ausbildung hat und so weiter. In dem Moment ging es los, die Zuschauer riefen an und machten ihn auch noch fertig. Beim Abspann ist er dann aus dem Studio gerannt, hat seinen Koffer zugemacht und ward nie mehr gesehen. Der hatte aber eine Internetseite und alles, wo er sich zuvor angepriesen hat.
Welchen Gast würden Sie gerne noch interviewen?
Ich habe zwei hervorragende Produzentinnen, die besten die es gibt. Was die alles für Leute ankarren. Wir haben Steinbrück gehabt und so weiter.
Also Sie bekommen eigentlich alle, die Sie wollen?
Ja gut, der Papst war noch nicht hier (lacht). Dann gibt es Leute wie beispielsweise Oswald Grübel. Der hat, als er noch Chef der UBS war, ständig abgesagt. Das sind Leute, die man gerne möchte, aber das ist eine kleine Liste. Die meisten haben wir. Für uns ist die Aktualität das allerwichtigste. Wenn jetzt eine Wahnsinnsgeschichte passiert, haben wir den Ehrgeiz, dass die Hauptperson heute Abend um 18:30 Uhr bei uns auf dem Stuhl sitzt.
Was sind so die Hauptkriterien, die ein Talk-Moderator erfüllen muss?
Es braucht journalistische Erfahrung. Und ich bin so was von dankbar fürs Radio. Dort hat man gelernt über Pannen hinwegzureden. Wir hatten damals noch Vinyl-Platten. Dann blieb manchmal die Nadel hängen oder ein Werbespot kam nicht, dann musste man improvisieren und etwas sagen. Sie sehen das auch in Deutschland, Jauch, Gottschalk, viele Moderatoren kommen vom Radio. Das ist die perfekte Schule für Fernsehen. Was man auch noch haben muss, ist schnelles Denkvermögen. Man muss sich vorstellen, in welchem Tempo das geht. Dann hat der Gast auf einmal wieder einen neuen Gedanken, darauf musst du reagieren und gleich wieder umstellen. Drei Tage Vorbereitung nützen da nichts. Denn der Gast redet in der Sendung vielleicht wieder etwas ganz anderes. Sehr oft improvisieren muss man auch bei Leuten, die einen Schicksalsschlag oder etwas Schwieriges erlebt haben. Da bereitet man sich vor und merkt nach zwei, drei Minuten, dass das Gespräch ganz anders verläuft, als man es sich vorgestellt hatte.
Und meistens machen Sie das Spielchen mit?
Ich muss ja. Das ist was die Zuschauer manchmal nicht begreifen. Ich habe eine Rolle. Da muss ich teilweise Ansichten vertreten, die mir gar nicht entsprechen. Aber ich muss den Gast herausfordern. Dann heisst es im Nachhinein, der Gilli ist ein linker Hund oder ein rechter Hund. Aber ich bin dafür verantwortlich, dass es spannende zweiundzwanzig Minuten werden. Und die Leute nehmen zum Teil alles für bare Münze und denken. ich hätte jetzt wirklich die Ansicht, obwohl das nicht so ist. Aber ich kann mir keinen anderen spannenderen Job vorstellen. Ich habe so viele spannende Gäste, ich lerne so viele tolle Menschen kennen und werde dafür noch bezahlt.
Sind normale 0815-Gäste angenehmer wie Prominente?
Man meint die Promis seien so kompliziert. Da muss ich sagen, das ist gar nicht der Fall. Blöd tun alle im Umfeld, die PR-Verantwortlichen, Pressesprecher, die so wahnsinnig wichtig tun. Der Prominente selbst ist total easy. Ich habe sehr gerne Leute, die nicht so prominent sind. Dort ist aber immer ein bisschen die Gefahr, dass sie sehr nervös sind. Ich sage immer, ich sitze mit Ihnen in einer Beiz, die Kameras und alles weitere gehören nicht zu uns. Die Leute haben unglaublich Respekt und denken „jesses Gott, jetzt schauen Tausende von Leuten zu!“.
Sie sind gar nicht mehr nervös, wenn Sie auf Sendung gehen?
Bei gewissen Sendungen schon. Zum Beispiel bei Kachelmann. Das war eine grosse Challenge, auch weil ich ihn seit dreissig Jahren persönlich kenne. Ich muss immer top vorbereitet sein, das gibt mir Sicherheit.
Wie bereiten Sie sich vor?
Ich habe die Redaktion, die mir das Material vorher zusammenstellt. Ich bekomme etwa fünfzehn Seiten. Dort ist schon gelb markiert, was wichtig ist, was ich nicht ansprechen soll oder wo ein Fettnäpfchen sein könnte. Diese Infos haben sie aus den Vorgesprächen mit den Gästen. Um etwa 16 Uhr setze ich mich hin und schreibe mein Manuskript. Dieses und die vorbereiteten Fragen nehme ich dann mit in die Sendung. Zusätzlich habe ich während der Sendung noch die Produzentin im Ohr, wenn ich etwas überhöre, bekomme ich von ihr eine Mitteilung. Sie ist wie eine erste Zuschauerin, die mir zuhört.
Wir schauen auf die Uhr und sind erstaunt, dass Markus Gilli sich doch einiges mehr Zeit genommen hat, als zuvor angekündigt. Beim Herausgehen ruft er uns noch zu „Mier Weschtler müend zämehebe!“. Wir lachen und verlassen Tele Züri gut gelaunt.
Hier der Link zum Rundgang durch die Sendestudios von Telezüri und ein Blick hinter die Kulissen.